Ohne Hinweis des Arbeitgebers keine Verjährung von Urlaubsansprüchen

Bereits in unserem Beitrag vom 13. Oktober 2022 haben wir berichtet, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) nach einer vorangegangenen Entscheidung aus dem Jahr 2018 (Az. C-619/17 und C-684/17) die Hinweispflichten der Arbeitgeber bezüglich der Urlaubsverjährung per Vorabentscheidung vom 22. September 2022 erneut gestärkt hat. Der Europäische Gerichtshof hat hierbei den Verjährungsautomatismus, wonach Urlaub bei Ablauf des Kalenderjahres bzw. nach § 7 Abs. 3 BUrlG mit Ablauf des 31. März des Folgejahres verfällt, aufgeweicht. Danach gilt: Weist der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht auf den Verfall bzw. die Verjährung seiner Urlaubsansprüche hin, so beginnt die Verjährungsfrist nicht zu laufen, bis die Information in hinreichend qualifizierter Weise erfolgt. 

Diese Entscheidung des EuGHs hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 20. Dezember 2022 (Az. 9 AZR 266/20) nun zur Grundlage seiner Entscheidung auf nationaler Ebene gemacht.

Geklagt hatte eine Arbeitnehmerin, die nach Beendigung ihres 21 Jahre bestehenden Arbeitsverhältnisses Abgeltung von 101 Urlaubstagen verlangte, welche sie über diesen Zeitraum angesammelt hatte. Der Arbeitgeber forderte die Arbeitnehmerin während des gesamten Arbeitsverhältnisses nicht dazu auf, Urlaub zu nehmen. Verletzt der Arbeitgeber seine Hinweispflicht in dieser Weise, verfällt nicht einmal der übertragene Urlaubsanspruch nach § 7 Abs. 3 BUrlG. Er summiert sich immer weiter auf. 

Die Verjährungsfrist beginnt nach Auffassung des BAG in richtlinienkonformer Auslegung mit dem Schluss des Jahres, in welchem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über dessen Ansprüche in Kenntnis gesetzt hat. Im Grunde genommen stellt dies eine Abweichung der gesetzlichen Regelverjährung von § 199 Abs. 1 BGB dar, wonach die Verjährung bereits mit Schluss des Jahres zu laufen beginnt, in welchem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger hiervon Kenntnis erlangt hat und ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen hätte müssen. Dem Arbeitgeber wird also eine weitergehende Initiativlast auferlegt. Er muss dem Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit einräumen, den Urlaub zu nehmen. Nur dann, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub trotz Erfüllung aller Hinweispflichten und Gewährung des Arbeitgebers aus freien Stücken nicht nimmt, beginnt die Verjährungsfrist nach oben genannten Grundsätzen zu laufen. 

 

Was bedeutet das für die Praxis?

Das BAG hat die arbeitnehmerfreundliche Rechtsprechung des EuGHs ausgelegt und angewandt. Der Verfall bzw. die Verjährung des Urlaubs stellen oftmals die letzte Möglichkeit für Arbeitgeber dar, mit auftürmenden Urlaubsansprüchen umzugehen. Wenn die Arbeitgeber ihrer Hinweisobliegenheit nicht nachkommen, kann dies unter Umständen erhebliche finanzielle Risiken mit sich bringen. Für die Einhaltung der Obliegenheitspflichten trägt der Arbeitgeber zusätzlich die Beweislast. 

Jedoch gilt: Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis beendet wurde, können sich praktisch gesehen nur dann auf das Urteil des BAG berufen, wenn sie 2020 oder später aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind. Denn nach Ansicht des BAG ist ein Abgeltungsanspruch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein reiner Geldanspruch, welcher der Regelverjährung unterliegt.

 

Wie sollte ich als Arbeitgeber vorgehen?

Sofern Sie sich diesen Problemen als Arbeitgeber gegenübersehen, sollten sie Ihre Mitarbeiter rechtzeitig auffordern, (Rest-)Urlaub zu nehmen und explizit mitteilen, dass der Urlaub, wenn er nicht beantragt wird, mit Ablauf des Kalenderjahres bzw. Übertragungszeitraumes verfällt. Dafür sollten Sie ein automatisiertes System einführen und die Hinweise hinreichend dokumentieren. Nach Ansicht des BAG genügen abstrakte Angaben im Arbeitsvertrag, einem Merkblatt oder in einer Kollektivvereinbarung nicht. 

Denkbar wäre ein Hinweis zu Beginn eines jeweiligen Kalenderjahres in Textform, z.B. per E-Mail. Für zusätzliche Sicherheit kann Ihre Personalabteilung im zweiten Halbjahr eine Information erlassen, die sich gezielt an Arbeitnehmer richtet, bei denen die Gefahr besteht, dass sie ihren bestehenden Urlaub nicht rechtzeitig beantragen.

Wenn ein Arbeitnehmer seinen Jahresurlaub in das Folgejahr übertragen bekommen hat, muss ein gesonderter Hinweis erfolgen, dass er die übertragenen Urlaubstage bis zum 31.03. zu nehmen hat.  

 

Werden gesetzlicher und freiwilliger Urlaub unterschiedlich behandelt?

Gemäß § 3 Abs. 1 BUrlG beträgt der kalenderjährliche Urlaub bei einer 5-Tage Woche 20 Werktage, bei einer 6-Tage Woche 24 Werktage. Dieser gesetzliche Urlaubsanspruch unterliegt den oben genannten Verjährungsgrundsätzen. 

Sofern vertraglich keine abweichenden Regelungen getroffen sind, werden die Normen des BUrlG auch auf den vertraglichen Zusatzurlaub angewandt (BAG – 9 AZR 80/10). Es steht Arbeitgebern aber offen, für den freiwilligen Mehrurlaub die Regelungen des BUrlG abzubedingen und zu vereinbaren, dass dieser am 31.03. des Folgejahres verfällt. Daneben kann nach § 7 Abs. 4 BUrlG auch der Anspruch auf Abgeltung des vertraglich vereinbarten Zusatzurlaubes abbedungen werden. 

An dieser Stelle bedanken wir uns ganz herzlich bei unserem wissenschaftlichen Mitarbeiter Tobias Bantle für die maßgebliche Mitwirkung an diesem Beitrag.