Massenentlassungen trotz Anzeigefehlern wirksam?

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) ging bisher davon aus, dass eine Kündigung, die im Rahmen einer Massenentlassung ausgesprochen wurde, unwirksam ist, wenn im Zeitpunkt ihrer Erklärung keine oder eine fehlerhafte Anzeige nach § 17 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) vorliegt.

Gemäß § 17 KSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, wenn bestimmte Schwellenwerte beim Personalabbau überschritten werden. Die gesetzliche Regelung verpflichtet Arbeitgeber bei der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor

1. in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer,

2. in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern 10 vom Hundert der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer,

3. in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern mindestens 30 Arbeitnehmer

innerhalb von 30 Kalendertagen entlassen werden.

Unterbleibt eine solche Anzeige oder ist diese fehlerhaft, so führte dies bisher zur Unwirksamkeit aller ausgesprochenen Kündigungen. Die Fehlerhaftigkeit der Massenentlassungszeige kann in Betrieben mit Betriebsrat beispielsweise auch darin liegen, dass kein Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat durchgeführt wurde und entsprechend der Agentur für Arbeit somit nicht die erforderlichen Unterlagen (Abschrift der das Konsultationsverfahren einleitenden und an den Betriebsrat gerichteten Mitteilung) zugeleitet werden.

 

BAG plant Kurswechsel

Der Sechste Senat des BAG beabsichtigt nun, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Fehler bei der Massenentlassungsanzeige sollen künftig nicht mehr zur Unwirksamkeit der Kündigung führen. Bereits mit Urteil vom 13. Juli 2023 (Az. C-134/22) hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass solche Übermittlungspflichten nur zu Informations- und Vorbereitungszwecken der Behörde dienen sollen. Sie gewährleisten keinen individuellen Schutz der einzelnen Beschäftigten.

Der Sechste Senat des BAG hat daher angefragt, ob der Zweite Senat an seiner bisherigen Rechtsauffassung festhalten möchte und weiterhin von der Unwirksamkeit von Kündigungen ausgeht. Bis zu einer Entscheidung wurden alle Verfahren, die von der Rechtsfrage betroffen sind, ausgesetzt.

 

Folgen für die Praxis

Eine Korrektur der Rechtsprechung anhand der tatsächlichen Gründe der Massenentlassungsanzeigen-Pflicht (Informations- und Vorbereitungszwecke der Agentur für Arbeit) hätte weitreichende Folgen für die Praxis. Sollte der Zweite Senat von seiner bisherigen Rechtsprechung Abstand nehmen, würde dies das Risiko unwirksamer Kündigungen bei Massenentlassungen deutlich reduzieren. Insbesondere unrichtige Anzeigen würden keine unverhältnismäßige Rechtsfolge mehr nach sich ziehen.