Berücksichtigung der Rentennähe bei betriebsbedingten Kündigungen

Im Rahmen von betriebsbedingten Kündigungen werden Vergleichsgruppen im Rahmen der Sozialauswahl gebildet. Unter den ausgewählten Mitarbeitenden muss nach gesetzlich vorgegebenen Merkmalen der sozial am wenigsten Schutzwürdige herausgefiltert werden. Im Rahmen der Abwägung ist auch das Lebensalter zu berücksichtigen. Mit zunehmendem Alter sinken die Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt, so die ursprünglichen Vorstellungen der deutschen Gerichte. Doch das BAG hat dieses Kriterium nun ambivalent ausgelegt.

 

Worum ging es in dem Fall?

Geklagt hatte eine 1957 geborene Mitarbeitern. Ihr wurde im März 2020 durch den Insolvenzverwalter über eine Namensliste gekündigt, wogegen sie sich rechtlich wehrte. Im Rahmen einer zweiten betriebsbezogenen Kündigungswelle wurde sie hilfsweise zu Ende Juni 2020 erneut entlassen. Auch gegen diese Kündigung zog sie vor Gericht. Ihr Arbeitsgeber hielt sie insbesondere im Vergleich zu ihrem 1986 geborenen Kollegen für weniger sozial schutzwürdig. Diese Ansicht begründete er primär damit, dass die Klägerin als einzige ein halbes Jahr vor der Bezugsmöglichkeit einer Altersrente für besonders langjährig Beschäftigte stand. Damit wäre sie nur – wenn überhaupt – kurzzeitig auf Arbeitslosengeld angewiesen. Sowohl das Arbeitsgericht als auch die Revisionsinstanz hielten diese Argumentation für nicht überzeugend und gab der Klägerin recht. Das BAG hält nun dagegen.

 

Die Entscheidung des BAG

Bezieht der Arbeitsnehmer bereits eine (vorgezogene) Rente wegen Alters abschlagsfrei oder steht eine solche innerhalb der nächsten zwei Jahre in Aussicht, darf das zu Lasten des Arbeitsnehmers in die Gesamtabwägung miteinfließen, so die Erfurter Richter. Denn mit zunehmender Nähe zum Renteneintritt und dem damit verbundenen Ersatzeinkommen sinke auch die Schutzwürdigkeit der Beschäftigten. Nicht berücksichtigungsfähig ist lediglich die Altersrente für schwerbehinderte Menschen. 

Dennoch war die Revision für den Beklagten nur ein teilweiser Erfolg. Bei der ersten Kündigung habe er laut BAG die gesetzlichen Kriterien Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten zu wenig berücksichtigt, weshalb diese grob fehlerhaft und damit unwirksam war. Die hilfsweise Kündigung im Juni dagegen war wirksam und durfte das Kriterium Lebensalter zum Nachteil der Klägerin verwenden.

 

Fazit

Die Sozialauswahl bei der betriebsbedingten Kündigung ist schwierig und regelmäßig fehleranfällig. Sie soll diejenigen schützen, die eine Entlassung am härtesten treffen würde. Die verschiedenen sozialen Kriterien wie die Dauer der Betriebszugehörigkeit oder etwaige Unterhaltspflichten sind gegeneinander abzuwägen. Das Lebensalter ist ein ambivalentes Kriterium, das die Schutzwürdigkeit zunächst erhöht, weil die Arbeitsmarktchancen sinken. Mit zunehmender Rentennähe kommen allerdings damit verbundene Ersatzeinkommen in Betracht. Daher kann das Lebensalter ab ca. 2 Jahren vor möglichem Bezugseintritt zu Lasten des Arbeitsnehmers verwendet werden. 

Arbeitgeber haben bei der Abwägung einen gewissen Spielraum, weil die Gewichtung der einzelnen Punkte nicht klar geregelt ist. Ihre Entscheidung müssen sie jedoch plausibel begründen, damit sie einer möglichen gerichtlichen Überprüfung standhält. Bei dieser Aufgabe unterstützen wir Sie gerne.