Anwendbarkeit des Bundesurlaubsgesetzes auf GmbH-Fremdgeschäftsführer

Schon seit längerem ist zu beobachten, dass deutsche Gerichte GmbH-Fremdgeschäftsführer zunehmend als Arbeitnehmer im Sinne spezifischer arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften einordnen.  Mit Urteil vom 25. Juli 2023 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) diese Sichtweise in Bezug auf den Status eines GmbH-Fremdgeschäftsführers als Arbeitnehmer im Sinne des Bundesurlaubsgesetzes (BurlG) bejaht (BAG, Urteil vom 25.07.2023, 9 AZR 43/22).

 

Zum Sachverhalt

Hintergrund der Entscheidung war ein Streit über die Urlaubsabgeltung. Die Klägerin war seit 2012 als Geschäftsführerin beschäftigt. Vereinbart war eine tägliche Arbeitszeit von 07:00 Uhr bis 18:00 Uhr. Vormittags hatte die Klägerin Kaltakquise zu betreiben, nachmittags hatte sie in Eigeninitiative Leistungen anzubieten. Sie wurde im Außendienst, zu Kundenbesuchen und für Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen eingesetzt. Der Dienstvertrag sah ab sechsjähriger Betriebszugehörigkeit einen Jahresurlaub von 33 Tagen vor, welcher bei der Gesellschaft zu beantragen war. Im Jahr 2019 nahm die Klägerin 11 Tage, im Jahr 2020 überhaupt keinen Urlaub. Sie kündigte ihren Vertrag zum 30. Juni 2020. Ab dem 30. August 2019 hatte sie sich krank gemeldet und erbrachte bis zum 30. Juni 2020 keine Leistungen mehr. Das BAG hat den Arbeitnehmerstatus bejaht und die Beklagte verurteilt, die noch offen stehenden 38,5 Urlaubstage abzugelten und 11.294,36 € brutto nebst Zinsen zu bezahlen.

 

Gründe der Entscheidung des BAG

Durch das BurlG werden die Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG umgesetzt, welcher den Jahresurlaub für Arbeitnehmer regelt. Die nationalen Gerichte sind gehalten, innerstaatliches Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der fraglichen Richtlinie auszulegen, um das in der Richtlinie festgelegte Ziel zu erreichen.

Dazu führt das BAG aus: „Der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff ist maßgeblich, wenn  wie vorliegend mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG eine unionsrechtliche Regelung angewandt und in nationales Recht richtlinienkonform umgesetzt oder ausgelegt werden muss.“

Maßgeblich ist mithin der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff. Arbeitnehmer ist derjenige, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, welche nicht als völlig untergeordnet bzw. unwesentlich zu charakterisieren ist. Hierfür genügt die weisungsabhängige Leistungserbringung, für die als Gegenleistung eine Vergütung gezahlt wird. Die Richtlinie 2003/88/EG, insbesondere Art. 7, ist unionsrechtskonform auch auf GmbH-Fremdgeschäftsführer anzuwenden, unabhängig davon, ob diese nach nationalem Recht als Arbeitnehmer betrachtet werden. Damit ergibt sich der Urlaubsabgeltungsanspruch als GmbH-Fremdgeschäftsführer unmittelbar aus § 7 Abs. 4 BurlG nach unionsrechtskonformer Auslegung.

Die Eigenschaft als Arbeitnehmer im Sinne des Unionsrechts hängt von der Art der übertragenen Aufgaben, dem Rahmen der Aufgabenausführung, dem Umfang der Befugnisse und der Kontrolle, welcher das Mitglied des Leitungsorgans innerhalb der Gesellschaft unterliegt, ab.

 

Konsequenzen für die Praxis

Für GmbH-Fremdgeschäftsführer gilt demnach das BurlG inklusive der Regelungen zum Verfall von Urlaubsansprüchen, wenn sie derart in die Geschäftsabläufe eingebunden sind, dass sie als Arbeitnehmer im europarechtlichen Sinne gelten.

Für Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer wird man die Anwendbarkeit des BurlG demnach ebenfalls bejahen müssen. Sie unterliegen den Weisungen der Gesellschafterversammlung und haben aufgrund ihrer Minderheitsbeteiligung keinen erheblichen Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft. Verfügt der Minderheitseigner jedoch über eine vertraglich eingeräumte Sperrminorität bzw. Vetorecht, kann dies die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des BurlG entfallen lassen.

Mehrheitsgesellschafter hingegen sind nicht als Arbeitnehmer im Sinne des BurlG anzusehen. Für den Alleingesellschafter folgt dies schon aus seiner Eigenschaft selbst, für den Mehrheitsgesellschafter zumindest aus der Tatsache, dass er seine Interessen im Regelfall gegen den Willen der Minderheit durchsetzen kann.

 

Fazit und Ausblick

Die Rechte von Fremdgeschäftsführern werden durch die Entscheidung des BAG gestärkt. Das Urteil aus Erfurt schafft Handlungsbedarf – z.B. für Portfoliounternehmen. Aber auch jeder Fremdgeschäftsführer einer GmbH, dem nicht durch Satzung oder Dienstvertrag besondere Unabhängigkeit zukommt, ist an die Gesellschafterbeschlüsse der von ihm vertretenen GmbH gebunden. Deshalb ist er – so auch die sozialrechtliche Wertung – abhängig beschäftigt.

Die Entscheidung wirft jedoch einige weitergehende Fragen auf. So stellt sich beispielsweise die Frage, ob die Anwendbarkeit des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) bedeutet, dass die gesamte Rechtsprechung zum BUrlG auch auf den Fremdgeschäftsführer einer GmbH anzuwenden ist. Muss beispielsweise der Geschäftsführer wie ein klassischer Arbeitnehmer auch über bestehende offene Urlaubstage informiert und auf den möglichen Verfall dieser Urlaubstage hingewiesen werden? Falls ja, wer müsste dies tun? Der Geschäftsführer sich selbst gegenüber oder gar die Gesellschafterversammlung?

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung bezüglich dieser Folgefragen positioniert. Aktuell besteht jedenfalls ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit.