Mündliche Nebenabreden bestehen nicht
Sogenannte Vollständigkeitsklauseln (etwa „mündliche Nebenabreden bestehen nicht“) finden sich in unzähligen Verträgen als Schlussregelung. Mit ihnen soll abschließend und unangreifbar festgestellt werden, dass die (schriftliche) Vertragsurkunde sämtliche Vereinbarungen zwischen den Parteien vollständig wiedergibt.
Nahezu unbemerkt hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 03.03.2021 (Az. XII ZR 92/19) klargestellt, dass Vollständigkeitsklauseln den Gegenbeweis weiterer Vereinbarung neben dem (schriftlichen) Vertrag nicht ausschließen. Derartige Klauseln würden allenfalls die Vermutung dafür stärken, dass keine mündlichen Nebenabreden bestehen.
Direkte Auswirkung hat die Entscheidung auf das Gewerberaummietrecht. Regelmäßig beabsichtigen hier beide Parteien eine langfristige Bindung mittels Festlaufzeiten – binnen derer das Vertragsverhältnis nicht ordentlich gekündigt werden kann. Diese langfristige Planbarkeit erhalten die Mietvertragsparteien durch die Einhaltung des Schriftformerfordernisses, § 578 Abs. 1, 550 S. 1, BGB. Wird die Schriftform nicht gewahrt, gilt das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit geschlossen und ist damit nach Maßgabe des § 580a BGB entschieden kurzfristiger kündbar.
Grundsätzlich werden vom Schriftformgebot alle Vereinbarungen umfasst, aus denen sich nach dem Willen der Vertragsparteien der Mietvertrag zusammensetzen sollen. Mit Ausnahme lediglich unwesentlicher oder unverbindlicher Abreden sollen sämtliche Vereinbarungen schriftlich fixiert werden.
Mündlich getroffene Vereinbarung werden Bestandteil des Vertrags, dies hat der BGH nochmals klargestellt. In dem Moment, in dem aber mündliche Nebenabreden existieren, ist die Schriftform nicht gewahrt, da gerade nicht alle Vereinbarungen schriftlich fixiert wurden. Durch die Nichteinhaltung des Schriftformerfordernisses wird das Vertragsverhältnis trotz vereinbarter Festlaufzeit jederzeit kündbar.
Im konkreten Fall stritten die Parteien darüber, ob die in den vermieteten Geschäftsräumen verbauten einfachverglasten Fenster einen Mangel darstellen, da vor Vertragsschluss eine Doppelverglasung (mündlich) zugesagt worden sei. Der zugrundeliegende Mietvertrag enthielt die Klausel „mündliche Nebenabreden bestehen nicht“. Trotz Vertragsklausel eröffnete der BGH der Mietpartei die Möglichkeit, sich auf eine abweichend getroffene mündliche Vereinbarung zu berufen und entsprechenden Gegenbeweis zu erbringen.
Relevanz hat das Urteil freilich nicht nur in Fällen mündlicher Nebenabreden betreffend den Austausch von Fenstern, sondern – wie dargestellt – in hohem Maße im gewerblichen Mietrecht. Mitumfasst sind davon Fälle der Grundstückssicherung (etwa für die Errichtung von Windenergieanlagen).
Unsere abschließende Empfehlung: Nachträgliche Ergänzungen oder Änderungen zu Verträgen sollten unbedingt schriftlich niedergelegt werden. Bestenfalls sollte solch ein Nachtrag fest mit der ursprünglichen Vertragsurkunde verbunden werden.