AGG-Hopping: Eine missbräuchliche Bewerbung führt zu keinem Entschädigungsanspruch wegen Diskriminierung
Das Landesarbeitsgericht Hamm hat sich in einer Entscheidung vom 05.12.2023 (Az. 6 Sa 896/23) mit dem Phänomen des sog. „AGG-Hoppings“ beschäftigt. Einem männlichen Studenten, der sich in rechtsmissbräuchlicher Weise auf eine als „Sekretärin“ ausgeschriebene Stelle beworben hatte, steht kein Anspruch auf Schadensersatz wegen Diskriminierung nach Absage durch den Arbeitgeber zu.
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz und AGG-Hopping
Die missbräuchliche Geltendmachung eines Geldanspruchs nach einer gefühlten Diskriminierung ist keine von dem Studenten neu entdeckte Einnahmequelle, sondern allgemein als AGG-Hopping bekannt. „AGG“ steht dabei für das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Dieses ist seit August 2006 in Kraft und soll Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität verhindern oder beseitigen (§ 1 AGG). „Hopping“ bezeichnet das systematische Provozieren einer Diskriminierung gegen sich selbst, um anschließend Entschädigungsansprüche nach dem AGG gegen den angeblich Diskriminierenden (gerichtlich) geltend zu machen.
Bewerbungen über Ebay-Kleinanzeigen
Der klagende Bewerber hatte sich über Ebay-Kleinanzeigen auf eine Vielzahl an Stellenanzeigen, in denen explizit eine „Sekretärin“ gesucht war, beworben. Seinen wenig aussagekräftigen Anschreiben waren nie weitere Dokumente wie Zeugnisse oder ein Lebenslauf angehängt. Wie zu erwarten und vom Kläger beabsichtigt, kam es aufgrund des Geschlechts des Klägers regelmäßig zu Absagen. Die diskriminierende Absage nutzte der Student, um einen Entschädigungsspruch nach § 15 AGG, welcher immerhin bis zu drei Monatsgehälter umfassen kann, gegen die potenziellen Arbeitgeber geltend machen zu können. Zu Beginn der Bewerbungs- bzw. Klagephase war der Student mit seinem „Geschäftsmodell“ durchaus erfolgreich und konnte im Berufungsverfahren vor dem LAG Schleswig-Holstein eine Entschädigung in Höhe von 7.800 Euro erreichen (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.06.2022, 2 Sa 21/22).
Rechtsmissbräuchliches Bewerbungsverhalten
Nach gleichem Muster bewarb sich der AGG-Hopper auch in dem hier zugrundeliegenden Verfahren. Das Arbeitsgericht Dortmund stellte ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen des Klägers fest, welches ausschließlich auf die Erlangung eines Entschädigungsanspruchs gerichtet sei und hat daher die Klage auf Entschädigung wegen Rechtsmissbrauch als unbegründet zurückgewiesen (ArbG Dortmund, Urteil vom 07.07.2023, 10 Ca 640/23).
Hiergegen legte der Kläger (erfolglos) Berufung vor dem LAG Hamm ein, welches das Arbeitsgericht Dortmund bestätigte.
Das Berufungsgericht begründete die zentrale Entscheidung über das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs unter anderem dadurch, dass der Kläger für die Stelle tatsächlich überqualifiziert gewesen sei sowie mit Widersprüchlichkeiten bei der Wohnungssuche in der zum aktuellen Wohnsitz des Klägers über 150 Kilometer entfernten Arbeitsstelle. Auch habe der Kläger nur unzureichend Tatsachen vorgetragen, die für ein tatsächliches Interesse an der Stelle sprechen würden, sondern beschränkte seinen Vortrag weitestgehend auf die (umfassende) Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu dieser Thematik. Während das Gericht dem Kläger aufgrund seiner (teils 50-seitigen) Schriftsätze eine gewisse Eloquenz und ein gutes schriftliches Ausdrucksvermögen attestierte, vermisste es dieses bei den wenig aussagekräftigen Bewerbungen, was als weiteres Indiz für einen Rechtsmissbrauch gewertet wurde. Auch blieb der Kläger einer Erklärung darüber schuldig, wie er neben seinem Vollzeitstudium angemessen einer Vollzeitstelle nachkommen wollen würde. Erheblichen Druck habe der Kläger auf die späteren Beklagten dadurch erzeugt, dass er außergerichtlich mit hohen Prozesskosten im Falle einer Klage gedroht habe und so die Gegner zu einem für sie ungünstigen Vergleichsangebot bewegen wollte, was ebenfalls für einen Rechtsmissbrauch spricht.
Schlussendlich ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger durch die Vielzahl an bundesweit erfolgten Bewerbungen und den daran anschließenden Klagen ein eigenes „Geschäftsmodell“ entwickelt habe, welches allein auf die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs gerichtet war – ein tatsächliches Interesse an den jeweiligen Stellen bestand nach Auffassung der Richter dabei wohl nie. Der Kläger passte sein Bewerbungsverhalten an die aus früheren AGG-Prozessen gewonnen Erkenntnisse an, um Aspekte, die einer erfolgreichen Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs entgegenstehen, nivellieren zu können. Gleichwohl musste er darauf achten, nicht eine zu aussagekräftige Bewerbung zu verfassen, die letztlich Erfolg haben könnte.
Strafbarkeit von AGG-Hopping
Inwieweit das oben genannte Verhalten auch strafrechtlich relevant ist, hängt maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab. Der BGH hat sich im Jahr 2022 zumindest mit der Frage des Betruges und der dafür erforderlichen Täuschungshandlung beschäftigt (BGH, Beschluss vom 04.05.2022, 1 StR 138/21). Zentral war die Frage, ob schon eine Täuschung vorliegt, wenn der Kläger subjektiv die Stelle gar nicht antreten wollte. Dies hat der EuGH im Jahr 2016 so angenommen und andernfalls einen Rechtsmissbrauch bejaht (EuGH, Urteil vom 28.07.2016, C-423/15). Diese Klarstellung bestand aber zum Zeitpunkt der Tatvorwürfe noch nicht. Dabei ist zu sehen, dass die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen der Durchsetzung des Benachteiligungsverbots nach dem AGG zuträglich ist und ein nach dem AGG erlaubtes Verhalten andererseits nicht strafrechtlich sanktioniert werden darf.
Zumindest sind im Einzelfall an eine Bestrafung hohe Anforderungen zu stellen. So verwerflich die Vorgehensweise von AGG-Hoppern auch sein mag, ist insoweit bisher noch keine strafrechtliche Verurteilung bekannt.
Fazit
Mit dem vom AGG intendierten Schutz von benachteiligten Minderheiten hat das Verhalten des Klägers offensichtlich nichts zu tun, sondern dient allein dem Missbrauch des vorhandenen gesetzlichen Instrumentariums. Die umfassende Auseinandersetzung des Landesarbeitsgericht mit dem Sachverhalt und die Würdigung der einzelnen Kriterien, die zur Annahme eines Rechtsmissbrauchs führen, dürfte einen weiteren Anhaltspunkt für zukünftige Gerichtsentscheidung über gleichgelagerte Fälle darstellen.
Eine vom Kläger gegen sich selbst provozierte Diskriminierung lässt sich aber leicht mit einer dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz konformen (grundsätzlich geschlechtsneutralen) Stellenausschreibung vermeiden.